Privilegierte wissen oft viel zu wenig über Dominanz und Unterdrückung.

Du hast wohl deine Tage - Dominanz.jpg

Wenn sich eine Person aus einer unterdrückten Gruppe und eine Person aus der “überlegenen” Gruppe begegnen (zum Beispiel in einer Arbeitsgruppe), dann bringen sie vollkommen unterschiedliche Erfahrungen mit. Darum beurteilen sie auch den gleichen Kommentar vollkommen anders.

Wenn Cis-Mann Hans zu FLINTA* Nina sagt: “Du hast wohl deine Tage”, dann kann ihm das wie eine harmlose Stichelei vorkommen.

Nina dagegen erkennt darin Dominanz. Die zum Beispiel darin liegt, dass er auf das abwertende Stereotyp “Frauen sind hormongesteuert” zurückgreift. Und damit sagt: “Da du gerade durch deine Hormone gesteuert bist, kannst du jetzt nicht vernünftig denken. Und was du sagst, kann ich darum nicht ernstnehmen”. Das ist abwertend, verletzend und diskriminierend. Und es greift Stereotypen auf, mit denen FLINTA*s seit Jahrhunderten abgewertet und unterdrückt werden - gar nicht lustig.

Genau die gleiche Situation hätten wir auch in Bezug auf jede andere Form von Unterdrückung beschreiben können. Eine weiße Person, die eine BIPoC fragt, wo sie wirklich herkommt, versteht oft auch nicht, wieso das Rassismus sein soll. “Das war doch nur eine harmlose Frage!”, denkt sie - Weil sie die Strukturen unter dieser Frage nicht sieht.

Eine Hetero-Frau, die eine lesbische Frau fragt, ob sie einen Freund hat, sieht oft nicht, wie diskriminierend es ist, davon auszugehen, dass die andere einen männlichen Partner hat.

Und ein Cis-Mann, der vorschlägt, dass nur die ihre Pronomen nennen sollen, “bei denen da was besonders ist”, hat womöglich das Gefühl, nur einen pragmatischen Vorschlag zu machen.

Dominanz nicht erkennen

Wenn Menschen aus unterdrückten Gruppen dominantes Verhalten ansprechen, verstehen viele privilegierte Menschen nicht, was an ihrem Verhalten dominant sein soll. Auch wir haben das bei der Arbeit an dieser Ausstellung immer wieder erfahren. Dass wir als FLINTA* Erfahrung mit Sexismus hatten, hat uns nicht davor bewahrt, auf anderen Achsen der Unterdrückung ahnungslos zu sein: Unser Bauchgefühl warnte uns, wenn Cis-Männer sich dominant verhielten, aber nicht wenn wir selber die gleichen dominanten Verhaltensweisen  gegenüber Menschen mit Behinderung zeigten.
Wir erkannten Mansplaining - das hat uns aber nicht davor geschützt, selbst Splaining zu machen, zum Beispiel gegenüber Jugendlichen.
Bei der Arbeit am Kartenset gingen uns täglich wieder die Augen auf. 

Niemand von uns hat in der Schule gelernt, die verschiedenen Arten der Unterdrückung zu verstehen und dominantes Verhalten zu erkennen. Dieses Wissen müssen wir uns selbst aneignen.
Auf dem Gebiet, wo wir selbst unterdrückt werden, geht das oft von selbst. Wir lernen durch unsere alltäglichen Erfahrungen, durch Gespräche mit anderen Unterdrückten. Und wir sind motiviert, Unterdrückung zu begreifen. Doch auf den Gebieten, wo wir privilegiert sind, fehlt uns die Erfahrung mit dieser Art der Unterdrückung.  Und auch wenn wir uns als Privilegierte bemühen uns zu bilden (zum Beispiel, wenn wir als Weiße ein Buch über Rassismus lesen), dann bekommen wir doch nur einen kleinen Einblick von außen. Und dieser Einblick ist auf jeden Fall schon ein guter Schritt raus aus der Dominanz - aber absolut nicht zu vergleichen, mit dem Wissen, das von Rassismus Betroffene zu diesen Themen haben. Denn sie lernen schon seit frühster Jugend jeden Tag, was Rassismus bedeutet und welche Auswirkungen er hat. 

Lebenslange Erfahrung

Studien zeigen, dass Kinder schon im Kindergartenalter begreifen, dass es  Gruppen gibt, die als „überlegen“ gelten und solche, die als „unterlegen“ gelten. Und sie begreifen auch, zu welcher der Gruppen sie gehören. Ab diesem Moment machen sich die Menschen die zu einer „unterlegenen“  Gruppe gehören, viel mehr Gedanken über das Thema.  Sie fangen einen lebenslangen Lernprozess an. Wobei sie zum Beispiel Situationen analysieren, die sie erleben oder beobachten. Und versuchen zu verstehen, was sie tun müssen, um Diskriminierung oder Gewalt aus dem Weg zu gehen. 

Ein 20jähriger Cis-Mann hat darum höchstwahrscheinlich nur einen Bruchteil des Wissens über sexistische Unterdrückung, das eine gleichaltrige FLINTA* Person hat.  Genau wie eine 20jährige FLINTA* of Color ein viel tieferes Wissen über Rassismus hat als eine gleichaltrige weiße FLINTA*.
Menschen, die auf mehrere Weisen unterdrückt werden, haben zusätzlich meist noch Erfahrung dazu gesammelt, wie verschiedene Diskriminierungen zusammenwirken. Und dadurch meist mehr Blick auf die strukturellen Aspekte unter dem dominanten Verhalten.


Wissensvorsprung

Es ist wichtig, dass wir diesen Wissensvorsprung anerkennen!
Wenn eine unterdrückte Person uns sagt, dass wir uns dominant oder diskriminierend verhalten, dann sollten wir das annehmen. Und nicht aus Reflex oder Schuldgefühl in die Rechtfertigungshaltung gehen. Nicht anfangen zu diskutieren. Erst mal in Ruhe darüber nachdenken.
Schuldgefühle bringen uns hier nicht weiter. Besser ist, uns für den Hinweis zu bedanken und uns die Zeit zu nehmen darüber nachzudenken. 

Doch oft reagieren Privilegierte in solchen Situationen mit Abwehr und Leugnung. Sie erfahren das Feedback als einen persönlichen Angriff. Weil sie die Strukturen unter dem Verhalten nicht erkennen. Das ist der dritte Grund, warum dominantes Verhalten in Arbeitsgruppen oft nicht angesprochen wird.

Weiter in der Ausstellung zu: