Wir haben schlechte Erfahrungen damit gemacht, Dominanz anzusprechen

Eins der Fragen, die uns bei diesem Projekt besonders beschäftigten war, warum wir und andere Menschen aus unterdrückten Gruppen dominantes Verhalten so selten ansprechen. Warum wir uns heimlich still und leise aus den Arbeitsgruppen zurückziehen, in denen dominante Menschen “herrschen”. Statt für unser Recht auf Teilhabe zu einzutreten. Und zu fordern, dass das dominante Verhalten aufhört.

Nach vielen Gesprächen und den Beobachtungen des letzten Jahres müssen wir feststellen:
Wenn eine unterdrückte Person privilegierte Menschen auf dominantes Verhalten anspricht bekommt sie als Antwort meistens noch mehr dominantes Verhalten zu spüren!
Nur in Einzelfällen haben wir erlebt, dass die angesprochene Person oder Gruppe sich die Erfahrung der unterdrückten Person in Ruhe angehört und angemessen darauf reagiert hat. In den allermeisten Fällen haben die auf ihr Verhalten Angesprochenen mit reflexartigen Leugnungen reagiert, und sehr häufig auch mit (Mikro-)Aggressionen, Manipulations- oder Ablenkungsstrategien.

Solche Reaktionen sind nicht nur sehr anstrengend und erschöpfend für die unterdrückte Person, sie können auch re-traumatisierende Wirkungen haben. Denn sie bestätigen der Person: Ich bin machtlos, ich habe keine Rechte, mir wird nicht geglaubt und die Privilegierten können sich alles erlauben.

Besonders traumatisierend sind Situationen, in denen von den anderen aus der Gruppe keine Unterstützung kommt, sie vielleicht sogar die privilegierte Person entschuldigen. Leider kommt dies oft vor, da auch vielen Zuschauenden das Wissen fehlt, dominantes Verhalten zu erkennen. Oder wenn sie es erkennen, sind sie sich vielleicht nicht sicher genug, um für die unterdrückte Person einzustehen. Und vielleicht haben sie auch selbst zu oft erfahren, wie dominant und aggressiv manche privilegierten Menschen reagieren, wenn sie auf ihr Verhalten angesprochen werden. Und haben deshalb Angst selbst zur Angriffsfläche zu werden, wenn sie sich mit dem Opfer solidarisieren.

Wenn eine unterdrückte Person dominantes Verhalten anspricht, reagieren Privilegierte oft u.a. mit diesen Abwehrreaktionen
(die alle auch wieder zum dominanten Verhalten gehören):

Sie lenken ab, zum Beispiel indem sie das Gespräch auf eine andere Art der Diskriminierung lenken. “Und was ist mit Gewalt gegen Männer?” Das ist Was-ist-mit-ismus (Whataboutism)

Oder es wird auf ein anderes Thema abgelenkt, zum Beispiel auf allgemeine philosophische Fragen. “Haben wir nicht alle die gleiche DNA?”. Mehr dazu: Derailing

ie werfen der unterdrückten Person vor, das dominante Verhalten im falschen Ton, auf die falsche Weise oder am falschen Ort angesprochen zu haben:
Ton-Schelte (Tone Policing).

Dabei wird oft auf die abwertenden Stereotpyen zurückgegriffen auf denen die unterdrückenden Ideologien basieren:
Der unterdrückten Person wird vorgeworfen, “zu emotional” zu sein, “übertrieben wütend ” oder “hysterisch”.

Manchmal wird dann plötzlich das Opfer angeklagt, jetzt geht es nicht mehr um das dominante Verhalten der privilegierten Person, sondern um das Verhalten der unterdrückten Person, ihr wird dann zum Beispiel vorgeworfen nicht liebevoll genug zu kommunizieren. Es kommt also zu einer Täter*innen-Opfer-Umkehr,auch Victim Blaiming genannt , also dem Opfer die Schuld geben.

Sie zweifeln die Erfahrungen der unterdrückten Person an. “So war das nicht”. Anzweifeln

Manchmal nimmt dieses Anzweifeln die Form von psychologischer Manipulation an: Es wird versucht der unterdrückten Person einzureden, sich habe sich die Diskriminierung oder das dominante Verhalten nur eingebildet oder die Situation hätte nichts mit Unterdrückung zu tun. Das nennt man auch Gaslighting.

Sie weigern sich überhaupt nur darüber nachzudenken, ob ihr Verhalten dominant sein könnte. Weigern sich vielleicht sogar anzuerkennen, dass es Unterdrückung gibt. “Rassismus gibt es doch bei uns nicht" mehr”. (Unterdrückung leugnen), die eigenen Privilegien nicht sehen).

Es gibt ein Ungleichgewicht an Wissen:

Hinzu kommt ein Ungleichgewicht im Wissen: Die angesprochenen privilegierten Personen haben sich bisher meist nicht wirklich mit Unterdrückung beschäftigt. Sie akzeptieren aber auch nicht, dass die unterdrückte Person viel mehr über das Thema weiß als sie selbst. Wodurch die unterdrückte Person ihnen eigentlich erst mal erklären müsste, was Unterdrückung, Privilegien und dominantes Verhalten sind. Was schwierig ist, wenn die andere Person gar nicht wirklich etwas lernen will.
Das sind auch dominante Verhaltensweisen die wir auf den folgenden Karten noch weiter erläutert haben:

”Nicht als Wissende anerkennen”
”sich nicht über Unterdrückung bilden”
”die Bildungsarbeit den Unterdrückten überlassen”

Warum kommt es zu diesen Abwehr-Reaktionen?

Nicht nur Unwissen führt dazu, dass Privilegierte oft abwehrend, rechtfertigend oder leugnend reagieren, wenn sie auf dominantes Verhalten angesprochen werden. Es passt auch nicht zu ihrem Selbstbild, eine dominante Person zu sein. Denn Menschen aus den privilegierten Gruppen werden zwar dominante Verhaltensweisen anerzogen. Gleichzeitig werden ihnen aber auch Werte wie Gerechtigkeit, Demokratie und Ehrlichkeit vermittelt. Das ist ein Paradox, dass wir hier im Globalen Norden wohl alle in uns tragen.

Den Ursprung hat dieses Paradox schon in den Zeiten der Aufklärung. Die Menschen in Europa erwarteten nun von sich, moralisch und gerecht zu sein (“Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”). Gleichzeitig verstießen sie aber massiv gegen diese Werte, indem sie weiter Frauen und Arme unterdrückten und ausbeuteten und andere Länder kolonialisierten, beraubten und versklavten.
Um die Unterdrückung zu rechtfertigen und zu verschleiern entstanden in dieser Zeit jede Menge Ideologien. Diese versuchten mit pseudowissenschaftlichen Argumenten die Gewalttaten und Ungerechtigkeiten gut zu reden. Das gelang leider ziemlich gut, denn Teile dieser Ideologien sind noch heute in unserer Kultur zu finden.

Es entstanden drei Arten Rechtfertigungs-Geschichten, mit denen das Unrecht gegenüber den Unterdrückten verschleiert wurde. Diese Geschichten helfen uns, unsere Mitverantwortung an der Unterdrückung zu verdrängen. Und uns so selbst weiter als moralische und gerechte Wesen sehen zu können.

Werden wir auf unser dominantes Verhalten angesprochen, dann kommt dieses Selbstbild ins Wanken.


“Es kann gar nicht sein, dass ich rassistisch handle”.
“Ich, sexistisch? Auf keinen Fall”.
Und dann sucht unser Gehirn nach Auswegen.
Wie Derailing, Whataboutism oder Tone Policing.

Ein Bespiel:
Eine Woman of Color spricht an, dass sie sich als einzige Nicht-Weiße im Meeting mit sieben Weißen nicht wohl fühlt. Daraufhin erzählt eine der Weißen, dass sie sich sich gar nicht als Weiße sieht (“Wir sind doch alle Menschen”) und ein Mann schwärmt davon, dass er sich selbst in dieser Gruppe gerade unheimlich wohl fühlt und wie fantastisch diese Gruppe doch ist, im Verhältnis zu anderen die er kennt.
Beide lenken von dem ab, was die Woman of Color anspricht und gehen nicht auf ihre Erfahrung ein.

Menschen aus den unterdrückten Gruppen erleben dieses Nicht-Gehört werden fortwährend.

Es schwächt ihr Selbstvertrauen und führt dazu, dass sie sich weniger äußern.
Vor allem aber führt es dazu, dass die Bedürfnisse und Erfahrungen der Unterdrückten nicht in der Gruppe besprochen werden. Im gerade beschriebenen Beispiel wird durch die Ablenkungsmanöver der Weißen nicht darüber geredet, warum so wenige BIPoC-Personen (Selbstbezeichnung wird in diesem Artikel erklärt) in der Gruppe sind oder wie die Gruppe dafür sorgen kann, dass die Woman of Color sich im Meeting dennoch wohl fühlt. Für die Woman of Color ist das eine extrem schmerzliche Erfahrung. Denn die Gruppe wiederholt so genau das, was ihr in der Gesellschaft auch immer wieder widerfährt.

Wichtig ist, dass alle in der Gruppe lernen, solches Verhalten bei sich und anderen zu erkennen. Damit wir unterdrückte Personen in solchen Situationen unterstützen können.
Dazu gehört auch, das System der Unterdrückung zu verstehen lernen. Und zu erkennen, welche Rolle das Verhalten einzelner Menschen in diesem System spielt.

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